Die Tübinger
Poetik-Dozentur 2014
swr2 Kultur, 25.11.2014
von: Rainer Zerbst
"Postkolonialistisch" nannte man früher Schriftsteller, deren biographische Wurzeln etwa in Kenia oder Südafrika lagen und die bedeutende Literatur auf englisch schrieben. Ein Begriff, der wegen seiner ausgrenzenden Tendenz inzwischen zu Recht verpönt ist.
Vor acht Jahren prägte die britische Schrittstellerin Taiye Selasi, Tochter einer nigerianisch-schottischen Mutter und eines ghanaischen Vaters für Menschen mit derart vielschichtigen Biographien den Begriff "Afropolitan. Diesem Phänomen widmet sich in diesen Tagen die Poetikdozentur der Universität Tübingen.
die-tuebinger-poetik-dozentur-2014.12844s1.mp3 |
Ein Journalist beschrieb Priya Basil einmal als "britische, kenianische, indische, in Deutschland lebende Autorin". Damit ist sie, wenn man einmal vom Leben in Deutschland absieht, geradezu ein Inbegriff dessen, was man als "afropolitan" bezeichnet, denn sie hat nicht nur einen Lebenshintergrund, sondern ein ganzes Bündel biographischer Welten, und dessen ist sie sich auch bewusst.
"Die meisten Schriftsteller versuchen, einer Kategorisierung zu entgehen, aber sicher gehöre ich zu einem Menschenschlag, der einen sehr viel differenzierteren biographischen Hintergrund mit all den dazu gehörenden Erfahrungen hat. Der Begriff "afropolitan" machte ja auf die Tatsache aufmerksam, dass immer mehr Menschen aus Regionen, die früher durch eine geringere Mobilität geprägt waren, jetzt in Erscheinung treten, ihre Ideen artikulieren und ihre Geschichten erzählen." Priya Basil
Daher war es auch kein Wunder, dass Priya Basil in ihrem ersten Vortrag über das Problem sprach, inwieweit die äußere Realität in die Literatur Eingang findet.
"Beim Schreiben lässt man alles durch das eigene Ich dringen, alles ist also persönlich, manchmal sogar zu persönlich. Mein Leben als Schriftstellerin bestand bisher darin, eine Art Balance zu finden, was ich davon benutze und was nicht." Priya Basil
Für die Tübinger Germanistin Dorothee Kimmich, die die Poetikdozentur betreut und dieses Thema ins Zentrum gerückt hat, ist das Phänomen "afropolitan" eine Herausforderung für ihr Fach, denn der Begriff Weltliteratur, der ja eigentlich die Werke aller Regionen und Nationalitäten erfassen sollte, reicht längst nicht mehr aus.
"Der Begriff basiert auf einem Begriff des Humanismus, der davon ausgeht, dass weltumspannend dieselben Themen alle Leute, alle Schriftsteller und alle Leser umtreiben und kulturelle Differenzen zu vernachlässigen seien, und das ist natürlich gerade nicht unsere Angelegenheit, sondern wir wollen im Gegenteil die Leserlandschaften pluralisieren." Dorothee Kimmich
Gerade die Schriftsteller mit multiplen biographischen Erlebnisbereichen können hier korrigierend wirken, denn sie sind kaum nach den herkömmlichen Kategorien einzuordnen. Priya Basil hat biologisch gesehen indische Wurzeln, wuchs in Kenia auf, lebt in Berlin und schreibt auf englisch. Hier muss man geradezu von multiplen biographischen Hintergründen reden. Und auch für sie selbst wie für ihre Kollegen mit ähnlichen Biographien stellt das durchaus ein Problem dar, das spürte sie jetzt, als sie sich für ihre Poetikvorlesungen noch einmal intensiv mit ihrer Herkunft auseinandersetzte.
"Ich wurde da mit meiner Vergangenheit konfrontiert wie noch nie zuvor, das war ein durchaus schmerzvoll und ein außergewöhnliches Erlebnis. Ich konnte über mein Schreiben nachdenken, über meine Kindheit in Kenia, die sehr rassistisch geprägt war, um all das hatte ich bisher eher einen Bogen gemacht. Insgesamt aber fühle ich mich privilegiert und bereichert durch die vielen Facetten meiner Vergangenheit." Priya Basil