Wir müssen uns alle neu erfinden
Antiwestliche Aufstände erschüttern die Welt. Wie kann ein neues, utopisches Konzept aussehen? Vier Schriftsteller mit globalen Biographien denken die Zukunft. Ein Gespräch.
Interview Harald Staun
Zuerst erschienen: F.A.S., 21.09.2014
Das Internationale Literaturfestival hat sie nach Berlin geführt: Dinaw Mengestu (l.), Pankaj Mishra, Priya Basil und Junot Díaz im Haus der Festspiele
Sie haben in Ihrer Rede von der neuen Rolle, der veränderten Identität des Westens gesprochen. „Der Westen“: Ist das überhaupt noch eine nützliche Kategorie?
Pankaj Mishra: Es ist natürlich zunächst einmal eine geographische Größe, und zwar eine, die von der Perspektive abhängt. Für China etwa ist Indien der Westen. Man entkommt dieser geographischen Einheit aber nicht so einfach. Der Westen ist eine sehr dominante Kraft in unserem Leben. Man kann sich nicht vorstellen, dass irgendein anderer Teil der Welt einen ähnlichen Einfluss auf das Leben von Europäern oder Amerikanern hat. Aber wir erleben gerade den Zusammenbruch dieses westlichen Monopols auf den intellektuellen Diskurs, auf die Kultur, auf die ganze Welt der Ideen.
Was bedeutet das für Sie persönlich? Sind Sie, egal, wo Sie herkommen, nicht auch selbst Teil des Westens? Sie zum Beispiel, Frau Basil, haben eine ungeheuer globale Biographie. Sind Sie Teil des Westens?
Priya Basil: Klar bin ich das. Aber ich habe ein seltsames Verhältnis dazu. Als ich in Kenia aufwuchs, hatte ich auch all diese vorurteilsbeladenen Vorstellungen, dass es dort besser ist, dass das Leben dort etwas Erstrebenswertes ist. Jetzt, als Erwachsene, da ich dort lebe, sehe ich das viel ambivalenter. Aber man identifiziert sich ja nicht in derart breiten Begriffen. Unsere Identitäten sind viel vertrackter.
Die Gesprächspartner:
Junot Díaz, 45, wurde in der Dominikanischen Republik geboren, zog mit sechs Jahren nach New Jersey und lebt heute in Boston, wo er am Massachusetts Institute of Technology Creative Writing lehrt. Zuletzt erschien sein Erzählband „Und so verlierst du sie“ (S. Fischer).
Pankaj Mishra, 44, wurde im nordindischen Jhansi geboren und lebt heute in der indischen Kleinstadt Mashobra und in London. Er war Gastdozent am Wellesley College in Massachusetts und am University College London. Mishra schreibt Romane und politische Essays, für sein Buch „Aus den Ruinen des Empires“ (S. Fischer) erhielt er Anfang des Jahres auf der Leipziger Buchmesse den Buchpreis zur Europäischen Verständigung.
Priya Basil, 37, wurde als Tochter indischer Eltern in London geboren, zog mit einem Jahr nach Nairobi und kehrte mit zwanzig wieder nach Großbritannien zurück. Seit sieben Jahren lebt sie in Berlin. Basil ist Mitbegründerin der Vereinigung „Authors for Peace“ und gehörte zu den Initiatoren des Aufrufs „Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“. Zuletzt erschien ihr Roman „Die Logik des Herzens“ (Schöffling).
Dinaw Mengestu, 36, wurde in Äthiopien geboren, als er zwei Jahre alt war, floh seine Familie vor dem kommunistischen Regime. Mengestu wuchs in Illinois auf, lebte mehrere Jahre in Paris und zog vor kurzem wieder nach New York. Sein aktueller Roman heißt „Unsere Namen“ (Kein & Aber).