Wie lässt sich die Demokratie neu beleben? Demokratie ist großartig, nur: Wie kann man sie schützen? Welche Strategien können die Welt vor Unfreiheit und Krieg bewahren? 16 herausragende Intellektuelle präsentierten in Berlin ihre Ideen - darunter Edward Snowden.
- Datum 10.09.2017
- Autorin/Autor Sabine Peschel
Die Demokratie ist vielerorts in die Defensive geraten. Die türkische Schriftstellerin Elif Shafak spricht vom anwachsenden "Team der Deprimierten" unter den Schriftstellern, Maaza Mengiste, die in den US lebende äthiopische Autorin, sieht statt der Revolutionen die militaristischen, autoritären Gegenbewegungen siegen, Arundhati Roy beklagt einen stillen Krieg gegen das eigene Volk im hindu-nationalistischen Indien. Auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin (ilb) sorgen sich Autoren und Denker aus vielen Ländern der Welt um den Zustand der Demokratie. Und sie scheinen sich in einem einig zu sein: Die Haltung der Selbstgenügsamkeit muss weichen!
Ein Kongress mit historischen Vorbildern
So ist zu erklären, weshalb am Abend des 8. September sechzehn herausragende Intellektuelle in Berlin zusammenkamen, um in einem fünfstündigen Mammutprogramm den Zustand der Demokratie und Strategien für die Zukunft zu analysieren. Die "Lange Nacht der Demokratie" bildete den Auftakt zu einem zweieinhalbtägigen Kongress über Demokratie und Freiheit im Rahmen des ilb. Ulrich Schreiber, der diese neue Veranstaltung als Festivalchef ins Programm gehoben hatte, beruft sich auf historisch bedeutungsvolle Vorläufer: den Internationalen Schriftstellerkongress für Kultur in Paris 1935, der sich gegen den aufkommenden Faschismus richtete, und das Russel-Tribunal 1966 in Stockholm. Die Grundüberzeugung, von der alle Vortragenden ausgingen: Freiheitliche Demokratie ist großartig, und es sich lohnt, um sie zu kämpfen.
Es könnte allerdings sein, dass viele Zuhörer in den Großen Festsaal gekommen waren, um vor allem einen zu sehen, der diese Ansicht im eigenen Leben teuer bezahlt hatte. Edward Snowden wurde für mehr als eine halbe Stunde live aus Moskau zugeschaltet und von der deutsch-britischen Autorin Priya Basil befragt. Seitdem der Experte für Cybersicherheit vor vier Jahren enthüllte, dass die NSA Unterlagen zu Milliarden von Privatpersonen gesammelt hatte, lebt er als politischer Flüchtling im russischen Exil. Er wurde mit Preisen für Courage, Integrität und Dienst an der Öffentlichkeit ausgezeichnet und ist im Vorstand der Freedom of Press Foundation. In den USA liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor. Der Whistleblower hatte genügend Anlass, sich über den Begriff der Freiheit Gedanken zu machen.
Snowden: Grundvoraussetzung für Freiheit ist eine geschützte Privatsphäre
Vor dem quasi anwendungsorientierten Konzept von Freiheit in unterschiedlichen Zusammenhängen - Redefreiheit, Meinungsfreiheit, Freiheit von Kriegen, die Freiheit, dass ungerecht durchsucht oder verhaftet wird, Schutz vor Deportation, vor der Regierung, vor anderen Bürgern, so zählt es Snowden auf - sieht er das Recht auf Privatsphäre als ein fundamentales Freiheitsgebot. Es geht ihm um nicht weniger als den Schutz des bedrohten Selbst.
"Wir erkennen die Schönheit und die Kraft in der individuellen Wahrnehmung", führt Snowden aus. "Das, was wir im Kopf haben, was sich hinter unserem Gesicht verbirgt, was unsere Struktur ist, unser Knochenbau - egal, ob wir von einer Gemeinschaft oder von einem einzelnen sprechen - wir haben es mit einem Wesen zu tun. Das kann uns zu Gutem oder zu Schlechtem führen, aber es muss zu etwas führen. Und damit wir führen können, dürfen wir nicht geführt werden. Und ich glaube, das ist das, worum es bei Freiheit geht. Anerkennen, dass, wenn wir um Erlaubnis bitten, wenn wir reguliert werden - und Regelungen und Gesetze sind wichtig - wir doch dieses Selbst leben können. Diese inhärente Saat, die den Menschen zum Menschen macht. Und da muss etwas möglich sein, ohne dass man um Erlaubnis bittet. Man fragt nicht, man handelt. Das ist Freiheit."
"Nutzt eure Freiheit, handelt, fragt nicht um Erlaubnis!"
Doch wie schützt man diese Freiheit in Zeiten der rasch zunehmenden digitalen Kontrolle und Überwachung? Snowden, so erweckt er den Eindruck, ohne es explizit auszusprechen, arbeitet zusammen mit anderen an neuen Verschlüsselungstechniken. Eine Technologie, die es Nutzern möglich machen soll, online zu kommunizieren, ohne verfolgt werden zu können. "Ohne dass man sich mit Kenntnissen der Verschlüsselungstechnologie belasten müsste", so Snowden.
Letzten Endes könne das Internet dazu beitragen, die Welt zu verbessern. "Wir durchleben eine Zeit der Gefahr", stellt er in Hinblick auf die USA unter Trump fest, und formuliert als Schlusswort einen flammenden Appell für eine bessere Zukunft: "Technologie allein kann uns nicht retten, es sind die Menschen, die uns retten müssen. Überzeugungen haben die Welt nie verändert, nur das Einstehen für Überzeugungen kann das. Steht auf und sagt etwas, nutzt eure Freiheit, handelt, fragt nicht um Erlaubnis!"