Ashraf Fayadh –
Opfer der saudischen Justiz
Solidarität für einen Todgeweihten
Saudiarabien begann das neue Jahr mit der Vollstreckung von 47 Todesurteilen. Auch der Dichter Ashraf Fayadh wartet auf die Hinrichtung. Heute wird seiner weltweit mit Lesungen gedacht.
- von Priya Basil
- 14.1.2016, 05:30 Uhr
Dem Dichter Ashraf Fayadh wird weltweit mit Lesungen gedacht. Er wartet in Saudiarabien auf die Hinrichtung. (Bild: AP)«Ich werde nach einem angemessenen Trost für meine Lage suchen» – so heisst es in Ashraf Fayadhs Gedicht «Frida Kahlos Schnurrbart», das von einer gescheiterten Liebe erzählt. Die Zeile hat einen unheimlichen Nachhall angenommen, seit der junge palästinensische Lyriker vergangenes Jahr in Saudiarabien, wo seine Familie seit längerem lebt, zum Tode verurteilt wurde ; auf Blasphemie und Abfall vom Glauben lautete die Anklage. Das ganze Gedicht mutet nun weniger wie ein letztes Wort an eine verlorene Geliebte an denn wie eine Elegie auf ein verlorenes Leben.
«Ich bin im Recht – du bist tot»Wir alle haben irgendwann an einem gebrochenen Herzen gelitten. Wir haben sogar eine – wenn auch abgedroschene – Sprache, mit der wir dieser Erfahrung begegnen können: «Es ist am besten so», versichern wir uns selbst und anderen, «das wird dich stärker machen, Zeit heilt Wunden, man muss vorwärtsschauen.» Endlos wiederholte Phrasen, Gefässe für banale Wahrheiten, die beruhigen und gleichzeitig an den Nerven kratzen. Aber wenn ein Leben zerbrochen wird – viel zu früh und ungerechterweise –, was entgegnen wir dann? Wie trösten wir einen Menschen, der sterben soll, nur weil er Worte in eine Ordnung gebracht hat, die das einzigartige Muster seines Seins in der Welt reflektiert? Wie drücken wir unser Mitgefühl für Ashraf Fayadhs Vater aus, der einen Schlaganfall erlitt, als das Todesurteil gegen seinen Sohn erging, und der wenig später starb?
Barmherzigkeit existiert nicht im Vokabular des saudischen Regimes. Wie Fundamentalisten jeglicher Couleur orientieren sich die Machthaber an einer simplen Prämisse, die das Blut gefrieren lässt und die der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka folgendermassen resümiert hat: «Ich bin im Recht – du bist tot.» Die Sprache der internationalen Realpolitik findet bei solcher Gelegenheit ebenfalls keine Worte. Noch wenn sich die westlichen Regierungen äussern wollten, was käme dabei heraus? «Es tut uns leid, dass Sie derart in Schwierigkeiten sind, aber wir sind auch in der Klemme – zwischen unseren Wertvorstellungen und der Schwierigkeit, diese aufrechtzuerhalten. Unser tiefstes Mitgefühl, aber wir sind nun mal auf Öl angewiesen. Wir bedauern aufrichtig, aber wir müssen auch die Interessen unserer Rüstungsindustrie im Auge behalten.»
Die Sprache der Politik kann nur dann glaubwürdig sein, wenn sie sich an die Grammatik der Menschenrechte hält. In diesem Idiom können wir von verletzter Würde und von vorenthaltenen Grundfreiheiten reden. Natürlich reicht es nicht aus, eine Sache zu benennen, um sie ins Lot zu bringen; aber für die Opfer bedeutet es zumindest einen kleinen Trost, wenn ihr Leiden anerkannt wird.
Diese Notwendigkeit, im Angesicht der Macht die Wahrheit zu sagen, ist einer der Gründe, warum ich Mitbegründerin der Organisation Authors for Peace bin. Ich wollte mich in einem politischen Raum bewegen, wo Worte auf andere Weise benutzt werden können, auf eine Weise, die eher dem literarischen Gebrauch entspricht – nämlich mit der Kraft der Imagination.
Grundsätzlich bedingt die Politik eine Bewegung über das Persönliche hinaus; sie verlangt, dass wir uns in einem weiteren sozialen Kontext sehen, dass wir akzeptieren, dass das Schicksal des Einzelnen nicht unabhängig vom Schicksal der Gemeinschaft betrachtet werden kann. Literatur behauptet das Gegenteil: Sie bewegt sich vom Allgemeinen zum Besonderen hin, sie greift den Einzelnen aus der Menge heraus, sie gibt der individuellen Geschichte Vorrang vor der übergreifenden Realität. Wenn diese zwei Modi, das Politische und das Literarische, sich überlappen, entsteht ein erstaunliches Potenzial.
Internationale SolidaritätDas jedenfalls zeigt sich im Echo auf die vom Internationalen Literaturfestival Berlin lancierte «Worldwide Reading»-Kampagne , die dieses Jahr Ashraf Fayadh gewidmet ist. Seit 2008 haben die Veranstalter des Festivals sechzehn solche Anlässe durchgeführt; Authors for Peace war bisher dreimal beteiligt und engagiert sich auch bei der Kampagne für Fayadh, die auf breitere Unterstützung stiess als jede voraufgehende. Heute, am 14. Januar, werden Texte des palästinensischen Dichters auf der ganzen Welt in dreiundvierzig Ländern und im Rahmen von hunderteinundzwanzig Veranstaltungen vorgetragen.
Auf Arabisch und Italienisch, Nepali, Griechisch, Kroatisch und in anderen Sprachen sollen Ashraf Fayadhs Worte erklingen und dem Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen, trotzen. Und jede dieser Veranstaltungen macht klar: Es gibt keine Freiheit, es gibt keine Gerechtigkeit – es gibt nur uns: Wir sind diese Worte, wir sind das, was sie benennen. Werte existieren nur, weil wir sie leben und sie auch denen gegenüber behaupten, die sie am liebsten getilgt sähen.
Auf das Urteil gegen Ashraf Fayadh gibt es nur eine Antwort: Lasst ihn frei.
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Die Zürcher Lesung für Ashraf Fayadh beginnt heute um 20 Uhr im Kunstraum Das Institut an der Elisabethenstrasse 14a.
Priya Basil wuchs in Kenya und Grossbritannien auf und lebt seit 2007 als Schriftstellerin in Berlin. Zusammen mit dem Journalisten Matthias Fredrich-Auf der Horst gründete sie 2010 die Organisation Authors for Peace. Auf Deutsch liegt ihr Roman «Die Logik des Herzens» vor. – Aus dem Englischen von as.