Was können Schriftsteller für die Verständigung zwischen Flüchtlingen und Bürgern leisten? Kann Sprache vermitteln und Literatur Brücken bauen? Über diese und andere Fragen zum Thema Europa haben Schriftsteller aus 30 Nationen in der Berliner Akademie der Künste mit Frank-Walter Steinmeier auf der Konferenz "GrenzenNiederSchreiben" diskutiert.
Von Cornelius Wüllenkemper, 11.5.2016
"Die Kluft zwischen Traum und Wirklichkeit in Europa, sie ist heute vielleicht tiefer denn je. Und fast möchte man sagen: So unverhofft, wie 1989 der Eiserne Vorhang niedergerissen wurde, so kalt hat uns die Rückkehr der Schlagbäume im Europa dieser Tage erwischt."
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zog gleich zu Beginn der Konferenz eine nüchterne Bilanz. Kann Literatur die "Streiträume" eröffnen, die Steinmeier für die europäische Öffentlichkeit einfordert? Die polnische Autorin Joanna Bator geht angesichts der anti-liberalen Flüchtlingspolitik in ihrer Heimat hart mit sich ins Gericht:
"Wir, die linksorientierten Intellektuellen, Schriftsteller und Künstler Polens, wir haben schlicht versagt. Wir sind Übersetzer, die das, was in der Gegenwart passiert, in Sprache übersetzen sollten. Wir haben die Ängste der Menschen in Polen nicht verstanden und nicht respektiert. Aber die Leute hatten ein Recht darauf, Angst zu haben. Denn sie wussten nichts über die Flüchtlinge. Sie haben sechs Jahrzehnte lang im Kommunismus gelebt. Sie hatten die Erfahrung einfach nicht, wie es ist, mit anderen Menschen zusammenzuleben."
Die oppositionelle syrische Künstlerin, Kinderbuchautorin Kefah Ali Deeb, träumt angesichts der engen kulturellen Verflechtungen zwischen ihrer Heimat und Zentraleuropa davon, jeden einzelnen Europäer zu fragen, was genau ihm an den syrischen Flüchtlingen eigentlich Angst macht. Angst – das war das Leitmotiv der Konferenz über das Niederschreiben von Grenzen.
Ein mit Bedacht gewählter, doppeldeutiger Titel: Grenzen benennen und überschreiben. Die finnische Autorin Rosa Liksom berichtete von ihrem Buch-Projekt, in dem sie finnischen Neonazis die Möglichkeit gab, ihre Meinung zu äußern und sich damit zugleich selbst zu entlarven. Die Kroatin Ivana Sajko sprach über ihren Roman, in dem sie verschiedene Perspektiven auf den Jugoslawienkrieg zu einer Geschichte kombinierte. Und der flämische Schriftsteller Jonas Terrin betonte die heilende Wirkung von guten Geschichten.
"Wenn der Leser schon vorher weiß, was der Autor im erzählen wird, ist das das Todesurteil für jedes Buch. Ich schreibe Bücher über Menschen, die ich nicht verstehe. Ich lasse mich von meiner Geschichte, von meinen Figuren leiten. Leser sind irrational: Man kann ihnen nicht einfach Argumente liefern, und schon schließen sie sich unseren Vorstellungen an. Wie erreichen wir die Leute, die nicht lesen? Indem wir einfache, klare Geschichten über Menschen schreiben, egal ob sie links oder rechts sind. Die Stärke eines Schriftstellers liegt in seinen Texten, nicht in seinen politischen Überzeugungen."
Angst – das Leitmotiv der KonferenzDie britische Autorin Priya Basil betonte, sie wolle der "Angstsuppe" zwischen Finanzkrise, Terror und Flüchtlingswelle ein positives Narrativ über die grundliberale Idee des geeinten Europas entgegensetzen. Geschichten entfalten ihre Stärke dann, wenn sie dem Alleinvertretungsanspruch der Populisten attraktive Alternativen entgegensetzen. Oder wie die Kroatin Ivana Sajko es ausdrückte:
"Angesichts einer Gesellschaft, die immer mehr in Richtung Angst, Hass und Hysterie driftet, müssen wir Schriftsteller eine Alternative aufzeigen: Okay, vielleicht haben wir keine politische Macht. Aber wir haben einen Willen, eine Vision einer besseren Gesellschaft, wir haben ein Werkzeug, das die Welt schöner macht. Und außerdem haben wir einfach Stil – und deswegen werden wir gewinnen. (Lacher)"
Das kann als optimistische Bilanz dieser in weiten Strecken sehr politisch geprägten Europäischen Schriftstellerkonferenz gelten. Wenn es den Autoren gelingt, gute Geschichten über das zu schreiben, was den Menschen universell betrifft, ist Literatur eine starke Alternative zum abgrenzenden Narrativ der Angst._